Kurzbericht von der griechisch-mazedonischen Grenze

Von Marc Speer

Vor einigen Wochen wurde Gevgelija schlagartig zum Symbol für das komplette Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik. Die Bilder aus der mazedonischen Kleinstadt direkt an der Grenze zu Griechenland gingen um die Welt. Zu sehen waren tausende Flüchtlinge, die verzweifelt versuchten, von einem total überfüllten Bahnsteig aus einen der raren Plätze in einem der regulären Züge Richtung Serbien zu ergattern. Mittlerweile ist die Situation deutlich entspannter. Dies nicht etwa, weil hier nun weniger Flüchtlinge die Grenze passieren – ganz im Gegenteil, es sind nach wie vor Tausende jeden Tag  – sondern weil dies nun staatlich organisiert vonstatten geht. D.h. weder die griechische Polizei noch die mazedonische Polizei behindert den irregulären Grenzübertritt, sondern toleriert bzw. unterstützt diesen sogar aktiv.

Gegenwärtig ist es so, dass Flüchtlinge von den griechischen Inseln aus in der Regel innerhalb weniger Tage mit Fähren auf das Festland gebracht werden und dann sofort mit Bussen nach Idomeni, das in direkter Nachbarschaft von Gevgelija auf der griechischen Seite der Grenze liegt. Dort stauen sich vor allem am Abend und in der Nacht die Reisebusse an einem „drop-off-point“ in der Nähe der Bahngleise, an welchem griechische Polizisten die Menschen dazu anhalten, die Busse schnellstmöglich zu verlassen und den Weg Richtung Mazedonien weisen. Wenige hundert Meter weiter werden die Flüchtlinge dann durch die Polizei in Gruppen von jeweils ca. 50 Personen eingeteilt, die im Abstand von fünf bis zehn Minuten eigenständig die Grenze nach Mazedonien passieren. Präsent ist hier nicht nur die Polizei, sondern auch der UNHCR, das griechische Rote Kreuz, die Ärzte ohne Grenzen und die bulgarische NGO „Orient“. Diese verteilen nicht nur Wasser, Lebensmittel und Kleidung, sondern bieten auch medizinische Hilfe an. Dies alles ist allerdings erst seit einigen Tagen bzw. Wochen der Fall. Zuvor kümmerten sich über Monate hinweg ausschließlich Bewohner der Region um die Flüchtlinge in Idomeni, „professionelle“ Akteure waren nicht präsent. Als einen wahren „Orgasm of NGOs“ beschrieb einer der von Beginn an engagierten Helfer diese Entwicklung. Neben den NGOs und dem UNHCR haben sich direkt an der Grenze mittlerweile auch zwei Imbissbuden und ein fliegender Händler für Sonnenschutz aller Art sowie Campingzubehör etabliert.

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Kurzbericht von der kroatisch-serbischen Grenze

Eine Kollegin, die sich in Tovarnik, einem kroatischen Dorf an der kroatisch-serbischen Grenze aufhält, hat uns gerade von der dortigen Situation berichtet. Sie sagt, dass es sich um eine humanitäre Katastrophe handelt.

Ihren Schätzungen zu Folge halten sich am Bahnhof mindestens 2.000 Flüchtlinge auf, im Dorf selber seien es nochmal so viele. Die kroatische Polizei blockiert aber den Zugang zum Dorf, weswegen die Flüchtlinge, unter ihnen viele Kinder und alte Menschen, teilweise schon seit Tagen am Bahnhof verbleiben müssen.

Gestern fuhren zwei Züge mit Flüchtlingen ab, allerdings war nicht bekannt, wohin. Ein Zug kehrte mit den InsassInnen zurück. Als gestern abend ein dritter Zug bereitgestellt wurde, kam es zu Auseinandersetzungen, um Zugang zum Zug zu erhalten. Der Zug fuhr jedoch nicht ab. In einem Waggon ließen sich die Fenster nicht öffnen, und auch die Klimaanlage war abgestellt. Nach den Schilderungen unserer Kollegin waren die Personen im Waggon kurz davor zu ersticken, ein Verlassen war erst nach Intervention möglich, da die Polizei dies zuvor verhinderte.

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#crossingnomore: “We don’t want to drown no more!”

Mathias Fiedler, Istanbul

It has been in planning for some time. While many people are trying to escape at Izmir and Bodrum via boat for quite a long time now. Especially in the warlike areas at the borders with Syria and Iraq, the pogroms against Kurdish civilians and hundreds of HDP offices and Kurdish shops destroyed the hope for many migrants to find a peaceful life in Turkey. Yet, after hearing the good news of thousands welcomed to Europe, people have found new hope.  The group called out for a protest via Social Networks and informed Media and humanitarian organizations about it. The first sentence reads as follows:

Because of the death of too many of our brothers and the fatal risks they have to take to cross the border from Turkey to Greece in order to make a better life for themselves, we are planning to gather at the border around Edirne on 15th of September 2015 and claim for our right to cross it safely.

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Of Hope. Hungary and the long Summer of Migration

This is the english translation of our previously published analysis in German. By Bernd Kasparek and Marc Speer. Translation: Elena Buck

Budapest, Keleti Station, Friday night, September 4th 2015. Just after midnight. Public transit buses arrive, sent by Hungary‘s government to take the refugees who have been camping there for around a week to the Hungarian-Austrian border. Wary that this might be another of the government‘s underhanded tricks, many refugees are initially reluctant and decide to wait. But after a while they begin to board the buses and continue their journey towards the next border. After days of waiting they are on the move again, and after days of searing heat, as if the weather, too, wanted to draw a line under this week of struggles, a soft rain sets in.

In the course of the night and the following day, more than 10.000 refugees cross the Austrian border. Austria and Germany had agreed to let them enter. Many others set out to follow. In this article we recapitulate what has taken place in Hungary and Europe over the last week in order to assess the significance of these events for the future of the European migration and border regime.

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Of Hope. Ungarn und der lange Sommer der Migration

Bernd Kasparek / Marc Speer

Bahnhof Budapest Keleti, in der Nacht von Freitag, 4. September auf Samstag 2015. Kurz nach Mitternacht. Busse des öffentlichen Nahverkehrs kommen an, von Ungarns Regierung geschickt, um die Flüchtlinge, die dort seit rund einer Woche campieren, an die ungarisch-österreichische Grenze zu bringen. Noch misstrauisch, ob es sich erneut um einen hinterhältigen Trick der Regierung handelt, warten viele Flüchtlinge erst einmal ab. Doch langsam besteigen sie die Busse und machen sich wieder auf den Weg, an die nächste Grenze. Nach Tagen des Ausharrens sind sie wieder unterwegs, und nach Tagen brüllender Hitze setzt plötzlich, als ob auch das Wetter einen Schlußstrich unter diese Woche der Kämpfe setzen will, leichter Regen ein.

Im Laufe der Nacht und am darauf folgenden Tag überschreiten mehr als 10.000 Flüchtlinge die österreichische Grenze. Österreich und Deutschland hatten sich bereit erklärt, sie einreisen zu lassen. Viele weitere machen sich auf den Weg. Wir wollen in diesem Artikel rekapitulieren, was sich in der Woche in Ungarn und Europa zugetragen hat und einschätzen, was es für die Zukunft des europäischen Migrations- und Grenzregimes bedeutet.

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Liveticker Budapest Keleti Bahnhof

We stopped to report on the live ticker.

But we will continue to report on Bordermonitoring Hungary

Monday, 7th of September

20:01 Csaba Hende, Minister of defense, has just resigned after the national security cabinet had a meeting about the fence.

13:10 According to Hungarian police, they arrested 2.203 people at the Serbian/Hungarian border in the last 24 hours. Numbers are increasing again.

12:12 From Sunday morning (8 a.m.) to 8 a.m. this morning nearly 13.000 refugees arrived in Munich.

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Momentaufnahme Budapest Keleti

Eine Momentaufnahme von Marc Speer

Keleti Bahnhof, einer der beiden großen Budapester Bahnhöfe, von dem aus die Züge Richtung Westen fahren, Ende August 2015: In einer schwülen Sommernacht liegen in den unterirdischen Zugängen tausende Menschen. Alte, Kranke, Behinderte und vor allem Kinder. Viele haben nicht einmal mehr eine Decke, auf die sich sich legen könnten. Alle sind sie erst vor Kurzem über die Balkan-Route gekommen: Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn. Empfangen wurden sie hier nicht besonders freundlich, sondern in der Grenzregion erst einmal in eine überfüllte Zelle oder auch einfach eine umfunktioniere Lagerhalle gesteckt. Angeblich unbedingt nötig. Zur Registrierung, d.h. vor allem zur Abgabe der Fingerabdrücke. Welcome to Hungary. Jeder hat eine ähnliche Geschichte davon zu erzählen, die mit Fotos auf Smartphones belegt werden: Da ist etwa die syrische Kurdin, die kürzlich ihren Mann verloren hat und zwei Tage in einer Zelle war, in der kaum genug Platz war, dass sich alle gleichzeitig hinlegen. Das sie ein kleines Baby dabei hat, egal. Ab in die Zelle. Oder der Herzkranke, der in Haft statt blutverdünnender Mittel von einer sogenannten Ärztin Magnesium bekommen hat. Hilft bestimmt.

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Kommentar zur Tragödie in Österreich

Laut ORF befanden sich in dem am Donnerstag auf der A4 in Österreich gefundenen LKW 71 Leichen, darunter vier Kinder.  Gestartet war der Kühl-LKW am Mittwoch in Budapest. An genau diesem Tag begab auch ich mich auf die Reise von Budapest in Richtung Österreich: 40 Euro für die Hin- und Rückreise mit dem „Railjet“ nach Salzburg. Bereits am Bahnhof Keleti – vor dem seit Monaten hunderte Geflüchtete, darunter etliche Kinder unter erbärmlichen Bedingungen campieren – passierte ich am Bahnsteig ohne jegliche Probleme eine Reihe ungarischer Polizisten: Aufgehalten wurden hier lediglich Personen, welche von den Polizisten als Geflüchtete identifiziert wurden, egal ob sie eine Fahrkarte besaßen oder nicht. Auf der Fahrt patrouillierten weitere Polizisten permanent durch den Zug und warfen Geflüchtete, die an späteren Stationen versuchten in den Zug zu gelangen, mit den Worten „Hey my friend, go out!“ umgehend wieder raus. Diese Kontrollen kenne ich seit Monaten. Nicht selten handelt es sich dabei um trinationale Einsätze, d.h. die ungarischen werden von deutschen bzw. österreichischen Grenzpolizisten „unterstützt“, bzw. wohl eher überwacht, damit sie nicht zu viel „Laissez-faire“ an den Tag legen.

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BAMF setzt Dublin-Überstellungen von syrischen Flüchtlingen aus

Aida (Asylum Information Database):

The German Federal Office for Migration and Refugees (BAMF) has issued internal instructions suspending the Dublin procedure in respect of Syrian nationals. According to the instructions, dated 21 August 2015, Dublin procedures that have already been initiated in relation to Syrians are to be cancelled, in order for Germany to become the Member State responsible for processing their claims. This entails that enforceable return orders for Dublin transfers to other countries are also to be revoked. Newly applying Syrian asylum seekers are to be immediately channelled into the regular asylum procedure and will not be given the Dublin questionnaires usually provided to applicants.

Update (25.8.2015) Auf Twitter schreibt das BAMF:

screenshot-25-8-2015

Spiegel Online:

Syrische Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragt haben, sollen künftig nicht mehr in jene EU-Länder überstellt werden, in denen sie zuerst registriert worden sind. Das sieht nach Informationen von SPIEGEL ONLINE eine neue Leitlinie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vor. Asylverfahren, die in einem anderen EU-Land aufgenommen wurden und noch nicht beendet sind, sollen demnach in Deutschland abgeschlossen werden.

Update (29.8.2015) Auch erste Gerichte greifen die Richtlinie bereits auf. So etwa das Landgericht Kempten, dass in einem Beschluss die Haftentlassung eines Syrers anordnete, der nach Ungarn abgeschoben werden sollte.

Asylsystem Österreich. Momentaufnahmen einer repressiven Chaotisierung

Ein Beitrag von Hans-Georg Eberl, aktiv bei Ferries Freedom Not Frontex Vienna, Wien.

Im österreichischen Asylsystem treten aktuell verschiedene Verschärfungen und Umbrüche des europäischen Grenzregimes zu Tage. Dies stellt neue Herausforderungen für selbstorganisiert kämpfende Refugees und ihre Verbündeten. In den aktuellen Entwicklungen verbinden sich repressive und chaotisch und planlos anmutende Momente zu einer Gemengenlage, die für die dieser unterworfenen Menschen belastende und traumatische Auswirkungen hat. Gleichzeitig wird sie aber auch mit einer neuen Welle von Protest, Widerständigkeit sowie alltagssolidarischen Praktiken beantwortet.

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