Archiv der Kategorie: Ungarn

Vor Mauern und hinter Gittern

Anlässlich des Treffens der Innen- und Justizminister*innen der EU am 5. und 6. Dezember 2023 – bei dem es ein weiteres Mal auch um die geplante Reform des »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« (GEAS) gehen wird – hat »terre des hommes« (tdh) eine Studie zu Kinderrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen veröffentlicht. Der Bericht mit dem Titel »Vor Mauern und hinter Gittern« beschreibt die bereits jetzt systematisch stattfindenden Inhaftierungen und Zurückweisungen (»Pushbacks«) von Kindern und Jugendlichen in Ungarn, Bulgarien, Griechenland und Polen und argumentiert, dass damit klare Verstöße gegen die UN-Kinderrechtskonvention einhergehen. Wie der Bericht weiter zeigt, wird die geplante Reform des GEAS nicht zu einer Verbesserung dieser unhaltbaren Situation führen. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Kinderrechtsverletzungen an den Außengrenzen sogar noch zunehmen werden.

Situation von Geflüchteten aus der Ukraine in den Nachbarländern

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem zweiten Weltkrieg ausgelöst. Im krassen Gegensatz zu den repressiven und auf Abwehr ausgerichteten Maßnahmen der EU-Länder, mit denen Geflüchtete aus anderen Ländern konfrontiert sind, herrscht bei Geflüchteten aus der Ukraine große Einigkeit in der EU: Sie sollen schnell und unbürokratisch aufgenommen werden.

Dafür wurde Anfang März 2022 erstmals in der Geschichte der EU die Richtlinie zum vorübergehenden Schutz aktiviert. Ukrainische Geflüchtete – und unter bestimmten Voraussetzungen auch Drittstaatsangehörige, die sich in der Ukraine aufgehalten haben – erhalten in einem EU-Land ihrer Wahl auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis, können arbeiten und Sozialleistungen beziehen.

So frei die Geflüchteten bei der Wahl des Landes sind, in dem sie den vorübergehenden Schutz beantragen, so eingeschränkt sind die Möglichkeiten, in andere EU-Länder umzuziehen, wenn der vorübergehende Schutz bereits gewährt wurde. Zwar sind Abschiebungen von einem EU-Land in ein anderes nicht vorgesehen. Aber die mit dem vorübergehenden Schutz verbundenen Rechte sollen nur in dem Land geltend gemacht werden können, das den Schutz erteilt hat.

Diese Regelungen treffen in der Praxis auf sehr dynamische Fluchtbewegungen: Die meisten Geflüchteten sind zunächst in die Nachbarländer der Ukraine geflohen, viele haben dort einen Antrag auf vorübergehenden Schutz gestellt. Immer mehr entschließen sich zu einer zumindest temporären Rückkehr in die Ukraine, viele fliehen weiter in andere EU-Länder. Die konkreten Lebensbedingungen für Geflüchtete aus der Ukraine in den einzelnen EU-Ländern unterscheiden sich dabei teils erheblich.

PRO ASYL und Bordermonitoring.eu wollen daher den Blick auf die Situation von Geflüchteten aus der Ukraine in den Nachbarländern der Ukraine richten. Im Rahmen eines gemeinsamen Monitoring-Projekts wollen wir die Situation in Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und dem Nicht-EU-Land Moldau dokumentieren.

Wie funktionieren Einreise, Registrierung und die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen in diesen Ländern? Wie sind Geflüchtete aus der Ukraine dort untergebracht? Haben sie in der Praxis Zugang zum Arbeitsmarkt? Wie steht es um Sozialleistungen, die Gesundheitsversorgung und den Zugang zu Bildung?

Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden, werden wir in den nächsten Monaten mehrere Recherchereisen in diese fünf Nachbarländer der Ukraine unternehmen und die verfügbaren Quellen auswerten. Die Ergebnisse unserer Recherchen werden fortlaufend auf einem Blog veröffentlicht. Ausführliche Länderberichte werden zudem auf der Website von PRO ASYL zu finden sein.

Transit in Budapest, Weiterreise nach Deutschland und Grenzkontrollen Frankfurt/Oder

von Marc Speer (bordermonitoring.eu, @bm0eu) und Tobias Klaus (terre des hommes, @tdh_de)

Am Bahnfof Nyugati, einem der drei großen Budapester Bahnhöfe, aus dem die Züge Richtung Osten ankommen, kommt etwa alle ein bis zwei Stunden ein Zug aus Zahony, dem Grenzbahnhof zur Ukraine, an. In jedem dieser Züge befinden sich aktuell 200 bis 500 Geflüchtete aus der Ukraine (Stand: 3. März 2022). Mindestens die Hälfte der Geflüchteten sind ausländische Studierende – etwa aus Indien, Marokko und Nigeria.

In einer Nebenhalle verteilen Ehrenamliche Lebensmittel und Getränke. Privatpersonen bieten auf Schildern Unterkünfte, Internet-Hotspots und Transport an.

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Erste Eindrücke aus Ungarn

In Ungarn führte der Angriff Russlands auf die Ukraine zu einer radikalen Kehrtwende im Umgang mit Geflüchteten. War das Land bis vor Kurzem noch europäischer Vorreiter in Sachen Anti-Flüchtlingspolitik, stellt sich die Situation seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine vollkommen anders da. Überraschend ist dabei auch, dass Ungarn nicht nur ukrainische Staatsangehörige (die seit 2017 ohne Visum in die EU einreisen können) problemlos einreisen lässt, sondern auch Studierende aus Drittstaaten, die in den letzten Tagen zu Tausenden aus der Ukraine flüchteten. Diese berichten, dass der Grenzübertritt nach Ungarn für sie deutlich einfacher möglich sei, als für ihre Freund*innen, die über Polen auszureisen versuchten .

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GÄNZLICH UNERWÜNSCHT. Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn.

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Der von bordermonitoring.eu und Pro Asyl gemeinsam veröffentlichte Bericht zeichnet im ersten Teil zunächst die Entwicklungen von Beginn des Jahres 2015 bis zum Frühjahr 2016 nach. Im zweiten Teil wird detailliert auf die beiden Gesetzespakete eingegangen, die im Sommer 2015 verabschiedet wurden und das individuelle Asylrecht in Ungarn faktisch abgeschafft haben – insbesondere durch die Erklärung Serbiens zum „sicheren Drittstaat“. Der dritte Teil geht auf die Inhaftierung von Asylsuchenden ein. Der vierte Teil beschreibt den staatlichen Umgang mit Dublin-Rückkehrern sowie zurückgeschobenen Personen mit Schutzstatus und die Bedingungen, mit denen sie in Ungarn konfrontiert sind.

Dublins Tod

Ein Foto-Essay von Kaveh Rostamkhani mit einem Beitrag von Marc Speer (4.12.2015)

Der „lange Sommer der Migration“ auf dem Balkan ist zugleich Resultat und treibende Kraft hinter etlichen Brüchen. Was passiert, wenn staatliche Kontrollbestrebungen und migrantische Mobilitätsstrategien zusammentreffen und etwas Neues entstehen lassen.

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Of Hope. Hungary and the long Summer of Migration

This is the english translation of our previously published analysis in German. By Bernd Kasparek and Marc Speer. Translation: Elena Buck

Budapest, Keleti Station, Friday night, September 4th 2015. Just after midnight. Public transit buses arrive, sent by Hungary‘s government to take the refugees who have been camping there for around a week to the Hungarian-Austrian border. Wary that this might be another of the government‘s underhanded tricks, many refugees are initially reluctant and decide to wait. But after a while they begin to board the buses and continue their journey towards the next border. After days of waiting they are on the move again, and after days of searing heat, as if the weather, too, wanted to draw a line under this week of struggles, a soft rain sets in.

In the course of the night and the following day, more than 10.000 refugees cross the Austrian border. Austria and Germany had agreed to let them enter. Many others set out to follow. In this article we recapitulate what has taken place in Hungary and Europe over the last week in order to assess the significance of these events for the future of the European migration and border regime.

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Of Hope. Ungarn und der lange Sommer der Migration

Bernd Kasparek / Marc Speer

Bahnhof Budapest Keleti, in der Nacht von Freitag, 4. September auf Samstag 2015. Kurz nach Mitternacht. Busse des öffentlichen Nahverkehrs kommen an, von Ungarns Regierung geschickt, um die Flüchtlinge, die dort seit rund einer Woche campieren, an die ungarisch-österreichische Grenze zu bringen. Noch misstrauisch, ob es sich erneut um einen hinterhältigen Trick der Regierung handelt, warten viele Flüchtlinge erst einmal ab. Doch langsam besteigen sie die Busse und machen sich wieder auf den Weg, an die nächste Grenze. Nach Tagen des Ausharrens sind sie wieder unterwegs, und nach Tagen brüllender Hitze setzt plötzlich, als ob auch das Wetter einen Schlußstrich unter diese Woche der Kämpfe setzen will, leichter Regen ein.

Im Laufe der Nacht und am darauf folgenden Tag überschreiten mehr als 10.000 Flüchtlinge die österreichische Grenze. Österreich und Deutschland hatten sich bereit erklärt, sie einreisen zu lassen. Viele weitere machen sich auf den Weg. Wir wollen in diesem Artikel rekapitulieren, was sich in der Woche in Ungarn und Europa zugetragen hat und einschätzen, was es für die Zukunft des europäischen Migrations- und Grenzregimes bedeutet.

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Liveticker Budapest Keleti Bahnhof

We stopped to report on the live ticker.

But we will continue to report on Bordermonitoring Hungary

Monday, 7th of September

20:01 Csaba Hende, Minister of defense, has just resigned after the national security cabinet had a meeting about the fence.

13:10 According to Hungarian police, they arrested 2.203 people at the Serbian/Hungarian border in the last 24 hours. Numbers are increasing again.

12:12 From Sunday morning (8 a.m.) to 8 a.m. this morning nearly 13.000 refugees arrived in Munich.

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Momentaufnahme Budapest Keleti

Eine Momentaufnahme von Marc Speer

Keleti Bahnhof, einer der beiden großen Budapester Bahnhöfe, von dem aus die Züge Richtung Westen fahren, Ende August 2015: In einer schwülen Sommernacht liegen in den unterirdischen Zugängen tausende Menschen. Alte, Kranke, Behinderte und vor allem Kinder. Viele haben nicht einmal mehr eine Decke, auf die sich sich legen könnten. Alle sind sie erst vor Kurzem über die Balkan-Route gekommen: Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn. Empfangen wurden sie hier nicht besonders freundlich, sondern in der Grenzregion erst einmal in eine überfüllte Zelle oder auch einfach eine umfunktioniere Lagerhalle gesteckt. Angeblich unbedingt nötig. Zur Registrierung, d.h. vor allem zur Abgabe der Fingerabdrücke. Welcome to Hungary. Jeder hat eine ähnliche Geschichte davon zu erzählen, die mit Fotos auf Smartphones belegt werden: Da ist etwa die syrische Kurdin, die kürzlich ihren Mann verloren hat und zwei Tage in einer Zelle war, in der kaum genug Platz war, dass sich alle gleichzeitig hinlegen. Das sie ein kleines Baby dabei hat, egal. Ab in die Zelle. Oder der Herzkranke, der in Haft statt blutverdünnender Mittel von einer sogenannten Ärztin Magnesium bekommen hat. Hilft bestimmt.

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