Beim EU-Gipfel am 18./19. Februar wird die “Bewältigung der Flüchtlingskrise” weiter im Mittelpunkt stehen. Der Joint Action Plan mit der Türkei und der Druck auf Griechenland zur besseren Zusammenarbeit hat noch nicht die erwünschte Wirkung gezeigt. Zwar spricht die Kommission in ihrer am 10.2. veröffentlichten Bestandsaufnahme über die Implementierung der im Dezember beschlossenen Maßnahmen von “großen Erfolgen”. Außer der Steigerung der Registrierungszahlen und abgenommenen Fingerabdrücke in Italien und Griechenland, bestätigt der Bericht jedoch eher eine stockende Umsetzung und wenig politischen Willen der Mitgliedsstaaten.
Die Zahl, der auf den griechischen Inseln ankommenden Menschen ist im Januar im Vergleich zu den Vormonaten gesunken. Dies ist jedoch nur zum Teil auf die vereinzelten Eingriffe und Verhaftungsaktionen der türkischen Behörden zurückzuführen, sondern vielmehr auf die derzeitige Wetterlage. Verglichen mit den letzten Wintern sind die Zahlen weiter auf einem Höchststand und Prognosen rechnen mit einem Anstieg, sobald das Wetter die Überfahrten wieder begünstigt.
Bis die Frühlingsmonate beginnen, braucht die EU nun dringend einen Plan, um die Bewegungen in der Ägäis und auf dem Balkan unter Kontrolle zu bringen.
Das erklärt Merkels und Davutoğlus Hauruck-Aktion vergangener Woche, die Nato um Unterstützung zu bitten. Innerhalb von 72 Stunden wurde ein gemeinsamer Vorschlag ausgearbeitet, der die beiden sonst eher uneinigen Staaten Griechenland und Türkei als NATO-Mitglieder zusammen brachte und dem Generalsekretär Stoltenberg zur Absegnung vorgelegt wurde. Durch diesen geschickten Schachzug wurde beim NATO-Gipfel tatsächlich entschieden, den Einsatzverband „Standing Nato Maritime Group 2“ unter deutscher Führung umgehend in die Ägäis zu schicken. Es handelt sich dabei um drei Schiffe und Infrastruktur im Luftraum, die zur Beobachtung der Crossings eingesetzt werden und ihre Informationen direkt an Frontex sowie die griechischen und türkischen Behörden weiterleiten sollen. In Seenot geratene Flüchtlinge sollen von der NATO gerettet, daraufhin jedoch umgehend in die Türkei zurück gebracht werden.
Damit gar nicht erst so viele Menschen die Überfahrt antreten, fordert die Kommission von der Türkei, Rückübernahmeabkommen mit Drittländern zu verstärken sowie den Zugang zum türkischen Arbeitsmarkt für Schutzberechtigte attraktiver zu gestalten, das heißt Menschen abzuschieben oder im Land zu binden. Weiter drängt die EU darauf, das Rückübernahmeabkommen mit Griechenland umzusetzen und Rückführungen von den griechischen Inseln zuzulassen. Erdoğan ist sich jedoch über seine strategisch wichtige Position gegenüber der EU bewusst und schließt nicht aus, über die versprochenen 3 Milliarden hinaus weitere Forderungen zu stellen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Protokoll des Gesprächs mit Juncker im November 2015 soll Erdoğan gesagt haben, er könne „die Tore nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen und die Flüchtlinge in Busse setzen“. Der NATO-Beschluss ist daher auch als Symbolpolitik für die Türkei zu bewerten. Denn er kann keine langfristige Lösung für die Migrationsbewegungen in der Ägäis bieten.
Italien und Griechenland basteln derweil an der Fertigstellung der Hospots. Neben dem bereits eingesetzten Registrierungszentrum „Moria“ auf Lesvos, sind nun auch die Hotspots auf Samos, Leros und Chios mittlerweile betriebsbereit. Diese werden vorerst durch das griechische Militär koordiniert. Die Kommission bemängelt, dass die Mitgliedstaaten nicht ausreichend Expert_innen bereitstellen, die für Frontex und das EASO in den Hotspots eingesetzt werden können. Auch wurden bei Weitem nicht so viele Aufnahmeplätze geschaffen, wie geplant. In Italien ist die Situation ähnlich: Von den sechs geplanten Hotspots, sind bisher nur Lampedusa und Pozzallo in Betrieb. Von hier werden Personen u.a. nach Tunesien, Ägypten und Nigeria zurück geschoben; mit anderen afrikanischen Staaten laufen Gespräche über mögliche Rückübernahmeabkommen. Die Kommission verlangt von Italien, die Abschiebungen zu effektiver zu machen, mehr Menschen zur freiwilligen Rückreise zu bewegen und die Dauer der Abschiebehaft auszuweiten.
Im Bezug auf die Hotspots bleibt vor allem unklar, wie diese nicht nur als Registrierungs-, sondern wie geplant auch als Relocation-Zentren funktionieren sollen. Das heißt, wie registrierte und für schutzbedürftig befundene Flüchtlinge innerhalb der EU verteilt werden sollen. Denn nur eine kleine Koalition der Willigen ist bereit die beschlossene Aufnahme auch umzusetzen. Von den im letzten Jahr beschlossenen 160.000 Flüchtlingen, die aus Griechenland und Italien umverteilt werden sollten, wurden bisher lediglich 497 in andere Mitgliedsstaaten gebracht. Die Kommission verschickte nun sogar verzweifelt blaue Briefe an alle Hauptstädte, um zur Umsetzung der Versprechen zu ermahnen und wenigstens den ersten Verteilungsbeschluss annähernd durchzusetzen.
Auch zur Situation auf der Balkanroute hat die Kommission wenig Positives in ihrem Sinne zu berichten. Zwar verzeichnet sie mehr Informationsaustausch zwischen den einzelnen Staaten, jedoch ist weder ein Ende des Durchwinkens und noch ein wirklicher politischer Wille zur Einrichtung permanenter Aufnahmeplätze in Sicht. Kein Land entlang der Route ist dem im Dezember beschlossenen Maß an Registrierung, Inhaftierung und Rückführung nachgekommen.
Mehr Hoffnung wird in den Aufbau eines gemeinsamen Europäischen Küsten- und Grenzschutz gesetzt. Beim Gipfel im Dezember traf der Vorschlag auf viel Zuspruch von Seiten der Mitgliedsstaaten. Die jahrelang umkämpfte Vergemeinschaftung des Grenzschutzes und damit eine Einschränkung nationaler Souveränitätsansprüche scheint nun durchsetzungsfähig. Nach dem Vorschlag würde Frontex eine massive Aufwertung erfahren und könnte zukünftig auf dem Terrain einzelner Mitgliedsstaaten operieren, ohne auf dessen Zustimmung angewiesen zu sein. Die niederländische Ratspräsidentschaft kündigte an, einen Beschluss dazu voranzutreiben. So wird sich beim EU-Gipfel diese Woche neben vielen Abmahungen und Unmut voraussichtlich vor allem an die Idee eines europäischen Grenzschutzes als gemeinsamer Strohhalm geklammert werden.