In Ungarn führte der Angriff Russlands auf die Ukraine zu einer radikalen Kehrtwende im Umgang mit Geflüchteten. War das Land bis vor Kurzem noch europäischer Vorreiter in Sachen Anti-Flüchtlingspolitik, stellt sich die Situation seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine vollkommen anders da. Überraschend ist dabei auch, dass Ungarn nicht nur ukrainische Staatsangehörige (die seit 2017 ohne Visum in die EU einreisen können) problemlos einreisen lässt, sondern auch Studierende aus Drittstaaten, die in den letzten Tagen zu Tausenden aus der Ukraine flüchteten. Diese berichten, dass der Grenzübertritt nach Ungarn für sie deutlich einfacher möglich sei, als für ihre Freund*innen, die über Polen auszureisen versuchten .
Bereits in unserem Hotel in Budapest trafen wir auf diese Personengruppe. Etliche marokkanische Studierende aus ukrainischen Städten wie Charkiw und Kiew waren dort untergebracht, auf Betreiben der marokkanischen Regierung, welche ebenfalls zeitnahe Flüge nach Marokko organisiert.
An der knapp 140 Kilometer langen ukrainisch-ungarischen Landgrenze existieren insgesamt sieben Grenzübergänge, wobei jener zwischen Chop und Zahony der größte und bedeutsamste ist. Ein Grenzübertritt ist hier ausschließlich mit dem Auto oder einem speziellen Zug möglich, der die wenige Kilometer von einander entfernten Grenzorte miteinander verbindet und mehrmals täglich verkehrt. Bis zu Beginn des Krieges nutzten diese Verbindung nur sehr wenige Menschen, der Zug verkehrte in der Regel mit nur zwei halb leeren Wagons.
Ganz anders die Situation jetzt: Alle paar Stunden kommt mit großer Verspätung ein Zug im ungarischen Zahony an, aus dem innerhalb weniger Minuten mehrere hundert Menschen strömen, darunter – neben ukrainischen Frauen mit Kindern – auffallend viele ausländische Studierende aus Nigeria, Indien und weiteren Drittstaaten. Die Passkontrolle durch ungarische Beamt_innen vor Verlassen des Zuges scheint eher oberflächlich zu sein bzw. sehr liberal gehandhabt zu werden. Wir konnten nicht beobachten, dass Menschen aufgrund „falscher Pässe“ die Einreise verweigert wurde.
Wenn Personen an der Einreise nach Ungarn gehindert werden, dann primär durch die ukrainischen Grenzbeamt_innen in Chop, die insbesondere Männern zwischen 18 und 60 Jahren mit ukrainischer Staatsangehörigkeit die Ausreise verweigern: Für diesen Personenkreis hatte die ukrainische Regierung bereits am 24. Februar die Ausreise grundsätzlich untersagt. Unsere Beobachtungen vor Ort bestätigen, dass dies rigide umgesetzt zu werden scheint. Ukrainische Männer sind nicht zu sehen. Nigerianische und indische Studierende berichten, dass der Grenzübertritt für sie problemlos möglich gewesen sei. Auf ukrainischer Seite würden jedoch, laut einigen unserer Gesprächspartner*innen, Priorisierungen durchgeführt: als erstes würden Frauen mit Kindern, dann alleinstehende Frauen und dann Männer ohne ukrainische Staatsangehörigkeit durchgelassen.
Nach Auskunft von Helfer*innen seien allein am Dienstag, den 1. März, zwischen 2.000 und 3.000 Menschen mit Zügen in Zahony angekommen. Hinzu kommen diejenigen, die am nahegelegen Grenzübergang mit dem Auto einreisen. Auch dort sei der Grenzübertritt nach Auskunft ukrainischer Familien möglich, die Wartezeit sei jedoch erheblich. Eine Frau mit Kind berichtet, dass sie 7 Stunden an der Grenzen warten musste bis ihr Auto durchgelassen worden sei. Ein Grenzübertritt zu Fuß ist am Grenzübergang Chop-Zahony nicht möglich, jedoch an mehreren kleineren Grenzübergängen an der ukrainisch-ungarischen Grenze, wo auch staatlich organisierte Busse für den Weitertransport bereitstehen.
Nach Ankunft der Züge werden die Einreisenden in Zahony zunächst in die Bahnhofshalle geschickt, wo an zwei Schaltern der ungarischen Bahn sogenannte solidarity tickets ausgegeben werden, mit denen eine kostenfreie Weiterreise möglich ist. Die meisten Menschen, mit denen wir gesprochen haben, fahren nach Budapest weiter. Viele ukrainische Geflüchtete werden jedoch auch mit privaten PWKs und Kleinbussen von Freund_innen und Verwandten abgeholt und von diesen untergebracht. Studierende aus Indien und Nigeria berichten, dass sie von Budapest in ihre Herkunftsländer zurückfliegen wollen.
Hilfe vor Ort wird aktuell durch eine baptistische Kirchengemeinde und durch einen Restaurantbesitzer aus Lindau geleistet, der bereits mehrere tausend warme Mahlzeiten verteilt hat. Große NGOs sind noch nicht vor Ort. Da nur kurze Wartezeiten bis zur Weiterreise bestehen und die Menschen keine monatelange Flucht hinter sich haben, scheint diese Basisversorgung momentan ausreichend. Das kann sich jedoch dann schnell ändern, wenn – etwa in Folge höherer Zugangszahlen – die Wartezeiten in Zahony länger werden sollten, oder wenn Einreisende in Zukunft bereits längere Zeit Reisen ohne ausreichende Versorgung hinter sich haben sollten.
Hilfe vor Ort wird aktuell durch eine baptistische Kirchengemeinde und durch einen Restaurantbesitzer aus Lindau geleistet, der bereits mehrere tausend warme Mahlzeiten verteilt hat. Große NGOs sind noch nicht vor Ort. Da nur kurze Wartezeiten bis zur Weiterreise bestehen und die Menschen keine monatelange Flucht hinter sich haben, scheint diese Basisversorgung momentan ausreichend. Das kann sich jedoch dann schnell ändern, wenn – etwa in Folge höherer Zugangszahlen – die Wartezeiten in Zahony länger werden sollten, oder wenn Einreisende in Zukunft bereits längere Zeit Reisen ohne ausreichende Versorgung hinter sich haben sollten.