Zwischen Abschiebung, Protest und rassistischer Gewalt

Am vergangenen Freitag, den 8. April 2016 wurde die zweite Abschiebung im Rahmen des EU-Türkei Abkommens durchgeführt. 45 Personen von Lesbos und 95 weitere von den Inseln Samos und Kos wurden mit gecharterten Fähren in die türkische Hafenstadt Dikili gebracht. Erneut wurde ein enormes Polizeiaufgebot aufgefahren, um die Abschiebungen durchzusetzen. Am Hafen von Lesbos sprangen drei Aktivist_innen ins Wasser, um symbolisch ihren Protest zu äußern.

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Personen auf Abschiebe-Fähre im Hafen von Mytilini
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Aktivist_innen springen aus Protest ins Wasser

Nach der ersten Abschiebung am Montag den 4. April, dem Startschuss für die Rückführungen in die Türkei, wurden in den Folgetagen weitere Abschiebungen zunächst ausgesetzt. Dies meisten für die Abschiebung ausgewählten Personen hatten mittlerweile in Griechenland Asyl beantragt oder waren verschwunden.

Aktivist_innen auf Chios beschrieben die Abschiebungen am Montag teilweise als willkürlich. Es seien auch Personen abgeschoben worden, die einen Asylantrag gestellt oder den Wille geäußert hatten, dies zu tun. Vincent Cochetel, Leiter vom europäischen Büros des UNHCR sagte gegenüber dem Euobserver:

„It appears 13 [people] were on the boat who may have applied for asylum, and had registered their wish to do so two days ago.“

Abgeschoben wurden Menschen aus Pakistan, Bangladesh, Marokko, Afghanistan und Syrien. In der medialen Berichterstattung war vielfach von „hauptsächlich Pakistanern“ die Rede, was suggerieren sollte, es würden keine „echten Flüchtlinge“ zurück geschickt. Die Gewalt und Gefahr die Menschen droht, die in die Türkei zurück geschickt werden, wird auf diese Weise relativiert.

In der vergangenen Woche schloss die Türkei ein Rückübernahme-Abkommen mit Pakistan ab.  Damit sind Pakistaner_innen, die Griechenland in die Türkei zurück schifft, einer Kettenabschiebung ausgesetzt. Sie werden in türkischen Abschiebegefängnissen inhaftiert und können direkt infolge abgeschoben werden.

Auch Menschen aus dem Irak und Afghanistan gelten in der Türkei als nicht schutzberechtigt. Amnesty International veröffentlichte Fälle von türkischen Abschiebegefängnissen, in denen afghanische Geflüchtete unter Zwang ihre freiwillige Ausreise unterzeichnen mussten und anschließend abgeschoben wurden. Weiter berichtet Amnesty von fast täglich praktizierten Push-backs nach Syrien. Schutzsuchende werden vom Überschreiten der türkischen Grenze abgehalten oder gewaltsam nach Syrien zurück gedrängt.

Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat – was Pro Asyl und Statewatch schon im Februar bestätigten, musste jetzt sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages eingestehen. So heisst es in einem von der Linkspartei in Auftrag gegebenen und seit dem 11. April vorliegendem Gutachten:

„Aufgrund von verschiedenen Berichten von Nichtregierungsorganisationen sowie von entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass die Anforderungen an einen sicheren Drittstaat in der Türkei nicht umfassend und in jedem Einzelfall gewährleistet sein könnten.“

Die Geflüchteten, die auf den griechischen Inseln festgehalten werden, machen derweil klar: Sie werden ihre Abschiebung in die Türkei nicht hinnehmen. In der vergangenen Woche kam es immer wieder zu Protesten und Gegenwehr der inhaftierten Menschen gegen ihre drohende Abschiebung und die katastrophale Versorgungssituation.

Am Donnerstag, den 7. April gelang es 250 Menschen aus dem Abschiebeknast auf Samos auszubrechen. Für einige Stunden konnten sie sich frei auf der Insel bewegen, bevor sie von Polizei und Frontex-Beamt_innen wieder zurück ins Lager transportiert wurden.

Auf Chios hielt eine Gruppe von Geflüchteten mit einem selbst errichteten Protest-Camp eine Woche lang den Hafen besetzt. Am Donnerstag Abend, den 7. April wurden sie von rassistischen Gruppen der lokalen Bevölkerung angegriffen und daraufhin von der Polizei gewaltsam geräumt.  Eine Beobachter_in berichtet, wie die Lokalpolitik die rechten Angreifer zum Vorwand nahm, um den unliebsamen Protest der Geflüchteten zu beseitigen:

„They burned a refugee banner, aggressively broke up contact between refugees and Europeans and had cozy chats with police. A large firecracker was thrown at the refugees, but the authorities were in no mood to protect the occupation. The mayor instead shouted at the refugees: „Go! Go! Go! You come with me or go with them!“ and pointed at the mob.“

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Protest auf Chios

Auch drohten immer wieder Menschen damit, sich eher das Leben zu nehmen, als in die Türkei zurück zu kehren. Auf Lesbos musste eine Person ins Krankenhaus eingewiesen werden, nachdem sie am Vortag der Abschiebung versuchte, sich das Leben zu nehmen.

Die Lage auf den griechischen Inseln ist ernst. Die festgehaltenen Menschen organisieren und wehren sich. In Überzahl gegenüber der Staatsmacht können sie sich temporäre Freiheit erkämpfen. Aber Griechenland und die EU wollen den Türkei-Deal durchsetzen und schrecken dabei vor Gewalt und dubioser Rechtslage nicht zurück.