Gesetzesverschärfungen und „nationale Konsultation“ in Ungarn

Aufgrund des drastischen Anstiegs der Asylbewerberzahlen in Ungarn (die sich innerhalb von nur zwei Jahren verzwanzigfacht haben), wird es in naher Zukunft wohl zu einigen weitreichenden Gesetzesverschärfungen kommen, darunter u.a.:

1. Inhaftierung aller irregulären Migranten/Asylsuchenden
2. Durchführung der Asylverfahren innerhalb weniger Tage
3. Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit.

Ausführlich hierzu in diesem Artikel des Europäischen Flüchtlingsrats (ECRE) und in dieser Presseinformation des Ungarischen Helsinki Komitees. Bisher ist allerdings noch nichts verabschiedet und es liegt noch nicht mal ein Gesetzesvorschlag vor. Die Aussagen Orbáns der letzten Zeit lassen allerdings wenig Zweifel daran, dass es bald zu massiven Verschärfungen kommen wird. Im Rahmen einer „nationalen Konsultation“ wird sogar die komplette ungarische Bevölkerung diesbezüglich befragt. Der Pester Llyod hat die (Suggestiv-)Fragen auf Deutsch übersetzt (dort findet sich auch ein Scan des Originalfragebogens):

1. Wie bedeutsam ist die Thematik des anwachsenden Terrorisums` für Ihr eigenes Leben?
2. Könnte Ihrer Meinung nach Ungarn in den kommenden Jahren Ziel des Terrorismus werden?
3. Manche sagen, dass die fehlgeleitete Einwanderungspolitik Brüssels zum Anwachsen des Terrorismus führt. Stimmen Sie damit überein?
4. Wußten Sie, dass Wirtschaftsflüchtlinge die Grenze illegal überqueren und das deren Zahl zuletzt um das 20fache gestiegen ist?
5. Stimmen Sie der Meinung zu, dass Wirtschaftsflüchtlinge die Jobs und Existenzen der ungarischen Menschen gefährden?
6. Manche sagen, dass Brüssels Politik zu Einwanderung und Terrorismus gescheitert ist. Stimmen Sie dem zu?
7. Würden Sie die ungarische Regierung bei ihren Bemühungen zur Einführung strengerer Einwanderungsregeln als sie Brüssel vor hat, unterstützen?
8. Würden Sie eine neue Gesetzgebung befürworten, die es der ungarischen Regierung erlaubt, Einwanderer, die illegal ins Land einfereist sind, in Haft zu nehmen?
9. Sollten Ihrer Meinung nach illegal nach Ungarn Eingewanderte so schnell wie möglich in ihre Länder zurückgeschickt werden?
10. Sind Sie einverstanden, dass die Wirtschaftsflüchtlinge, die in Ungarn bleiben, die Kosten ihres Aufenthalts decken müssen?
11. Stimmen Sie damit überein, dass die beste Abwehr von Einwanderung in der Wirtschaftshilfe für die Herkunftsländer besteht?
12. Stimmen Sie mit der ungarischen Regierung überein, anstelle von Mitteln für die Einwanderung bereit zu stellen, wir ungarischen Familien und die Kinder, die noch geboren werden, unterstützen sollen?

Update (3.6.2015): Aufgrund der geringen Resonanz wurde die Befragung um zwei Monate verlängert, unterstützt von einer Anzeigen- und Plakatkampagne („Wenn Du nach Ungarn kommst, darfst Du keine ungarischen Jobs wegnehmen!“). Mehr zu den aktuellen Entwicklungen bei Bordermonitoring Ungarn.

VG Berlin, VG München und VG Augsburg zu Ungarn

Bereits Anfang diesen Jahres änderte die 23. Kammer des VG Berlin ihre langjährige Rechtsprechungspraxis und geht nun von „systemischen Mängeln“ in Ungarn aus. Folglich wurde auch die Überstellung des Antragstellers untersagt – zumindest vorläufig. Anlässlich dieser Gerichtsentscheidung veröffentlichte die Stadt Berlin sogar eine Pressemitteilung auf ihrer Webseite. Am 16.3.2015 schloss sich nun auch die 36. Kammer des VG Berlin den Ausführungen der 23. Kammer an. Damit reiht sich nun auch das VG Berlin in eine ganze Reihe von positiven VG-Beschlüssen zu Ungarn ein, wobei die hier zugrunde liegende Argumentation besondere Beachtung verdient. Denn obwohl ein Verstoß gegen Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 GrRCh („Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“) im Hinblick auf die Haftbedingungen in Ungarn verneint wird, untersagt das Gericht die Überstellung dennoch unter Verweis auf die Dauer der Haft ohne effektiven Rechtsschutz (Verletzung von Artikel 6 GrRCh). Dies übrigens unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des UNHCR sowie eine gemeinsame Stellungnahme von uns und Pro Asyl. Das VG München schloss sich der Rechtsauffassung des VG Berlin kürzlich in einem Hauptsacheverfahren an. Weiterhin entschied das VG Augsburg kürzlich in einem Hauptsacheverfahren, dass im Falle eines psychisch erkrankten in Ungarn anerkannten Flüchtlings ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 vorliegt, unter anderem mit Verweis auf unseren Ungarnbericht. Allerdings ist die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte hinsichtlich Ungarn nach wie vor sehr unterschiedlich. Zu dieser Thematik hier ein aktueller Radiobeitrag des BR , in dem wir auch kurz zu Wort kommen.

ARD und SPIEGEL zur Ukraine

Kürzlich recherchierten Journalisten des Spiegel und der ARD – mit Unterstützung von bordermonitoring.eu – zur Situation der internationalen Flüchtlinge in der Ukraine. Aus dieser Recherche entstand  ein sehr lesenswerter Artikel in der Druckversion des Spiegel (leider ist der Beitrag online nicht verfügbar, sondern nur eine Kurzversion und ein kurzes Video).   Weiterhin gab es einen Bericht in den Tagesthemen und bei Report Mainz. Weitere Informationen finden Sie auf der Sonderseite Bordermonitoring Ukraine.

Update (30.3.2015): Hier ein Interview mit uns zur Thematik in dem Magazin „konkret“.

Update (16.5.2015): Hier ein Interview mit uns zur Thematik in dem Magazin „analyse und kritik“.

Tagesthemen: 

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Report Mainz:

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Kirchenasyl und Ungarn

Der BR hat ein langes Special zu Kirchenasyl und zu Ungarn produziert (Sonderseite, Radiobeitrag, Fernsehbeitrag). Wir kommen auch zu Wort. Ebenso Innenminister Herrmann:

Entweder man bekennt sich zur EU oder man lässt es sein. Einerseits  Begeisterung für die EU, die ich im Prinzip teile, aber dann bei jeder Kleinigkeit zu sagen: Bei denen ist es aber schlechter als in Deutschland.

Eine Inhaftierung bis zu sechs Monaten, de facto ohne richterliche Kontrolle und dazu oftmals unter fragwürdigen Bedingungen ist für den bayerischen Innenminister also eine „Kleinigkeit“.  Glücklicherweise sehen das nicht wenige Verwaltungsgerichte anders (siehe unsere Recherche-Datenbank).

Bericht zur Situation der Flüchtlinge in Bulgarien

bordermonitoring.eu freut sich, auf das Erscheinen unseres neuesten Berichts hinweisen zu können.

Trapped in Europe’s Quagmire: The situation of asylum seekers and refugees in Bulgaria wurde von vier Forscher_innen im Rahmen des Projekts  Bordermonitoring Bulgaria erstellt und beschreibt, warum sich Asylbewerber_innen und Flüchtlinge in Bulgarien in einer extrem schwierigen Situation befinden.

Themen des Berichts:

  1. Push-Backs und Gewalt an der Grenze
  2. Überfüllte Lager und die Produktion von Obdachlosigkeit
  3. Integration: Ausschluß in einem Zustand des Chaos
  4. Xenophobie und rassistische Übergriffe: Institutionen, die extreme Rechte und Gewalt auf der Straße
  5. Asyl: Die Meinung der Rechtsexpert_innen
  6. Europas Unerwünschte: Einschränkungen der Bewegungsfreiheit

Das Projekt Bordermonitoring Bulgaria spricht sich gegen (Dublin-)Überstellungen nach Bulgarien aus, solange Flüchtlinge dort keine menschenwürdige Behandlung erfahren. Das Projekt wird auch in Zukunft die Entwicklungen in Bulgarien beobachten und dokumentieren.

Der englischsprachige steht hier zum Download bereit.

Update (22.12.2014): Der Bericht ist mittlerweile auch in deutscher Übersetzung erschienen.

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